Theater: Kunst oder Profit?

Um heutzutage in einer Kulturstadt wie Berlin ein Theaterstück aufzuführen ist es erforderlich eine Vielzahl von Hindernissen, meist finanzieller Natur, zu überwinden. Sowohl große und angesehene Opernhäuser als auch kleine Stadttheater müssen sich zunehmend mit dem „Ergattern” von Sponsoren beschäftigen, die zusätzlich zu den staatlichen Förderungen eine Aufführung erst möglich machen. Manch einem kann sich vor diesem Hintergrund die Frage stellen: Hat sich der Profitgedanke in der deutschen Theaterlandschaft in den Vordergrund gedrängt und ist dabei der künstlerische Aspekt des Theaters auf der Strecke geblieben?

Um diese Problemfrage zu diskutieren, ist es zuerst einmal nötig die Schlüsselbegriffe zu definieren. Eine offizielle Definition des Begriffes der Kunst gibt es seit dem Nationalsozialismus und der DDR nicht mehr. Kaum einer wagt es noch, der Kunst durch gewagte Definitionen Grenzen zu setzen. Kunst ist ein Begriff, den ich nur subjektiv beschreiben kann: Der Ausdruck und die Darstellung von Gefühlen, Situationen und Ideen durch bestimmte Gestaltungsmittel, wie z.B. Musik, Malerei oder Theater. Ich würde Kunst als Medium zwischen dem „Inspirierten”, also dem Künstler, und dem Publikum sehen. Kunst ist eine kreative Art der Veranschaulichung und der Umsetzung, die dem Künstler eine Selbstverwirklichung gewährt. Diesem abstrakten und subjektiven Begriff steht der eindeutige Profitbegriff gegenüber. Profit meint einen finanziellen Gewinn oder eine wirtschaftliche Einnahme. Spricht man davon, dass etwas profitabel sei, dann meint man in der Regel, dass sich etwas aus materieller Sicht lohnt.

Auch Goethe hat sich im Vorspiel des Dramas „Faust ?” Gedanken über das Theater und seine Zweckmäßigkeit gemacht. Hierbei handelt es sich um einen Trialog zwischen dem Intendanten des Theaters, dem Dichter und dem Schauspieler. Goethe lässt sie im „Vorspiel auf dem Theater” über Dichtung, Schauspielkunst, das Publikum und die allgemeine Aufgabe des Theaters diskutieren. Dieses Vorspiel enthält keine für das spätere Drama handlungsrelevanten Elemente. Dennoch ist es erstaunlich, dass sich auch zu Goethes Lebzeiten, von 1749 bis 1832, das Theater mit ähnlichen Problemen auseinandersetzen musste wie heute. Der Direktor sagt klar und deutlich, dass er ein Stück voller Spektakel und „Events” erwartet, die das Publikum unterhalten. Außerdem vertritt der Theaterdirektor den Standpunkt, dass die Aufführung eine regelrechte Show mit einem vollgepackten Programm werden sollte, um auf diesem Weg eine möglichst breite Masse anzusprechen und ein großes Publikum zu erreichen. Denn laut dem Direktor sind das wichtigste die vollgefüllten Kassen. Deshalb möchte er auch keine tiefgründigen Inhalte, sondern ein technisch aufwendiges Fest. Man könnte behaupten, dass der Intendant das Theater als Wirtschaftsbetrieb ansieht. Im Kontrast dazu steht der Dichter, der daran interessiert ist ein tiefgründiges und inhaltlich wertvolles Theaterstück zu präsentieren. Der Bühnenautor schert sich nicht um die materiellen Absichten des Direktors und ist stattdessen bemüht einen möglichst anspruchsvollen und niveauvollen Text zu schreiben. Außerdem stößt den Poeten der Gedanke an eine Massenveranstaltung ab. Es ist nicht in seinem Sinne eine große „Party” zu inszenieren, sondern er möchte eine intellektuell anspruchsvolle Botschaft in das Stück einbauen. Der Schauspieler stimmt weitgehend mit den Gestaltungsideen des Direktors überein. Auch er spricht sich für eine spektakuläre und vor allem unterhaltende Show aus, die nicht unbedingt intellektuell geprägt sein sollte. Jedoch verbergen sich hinter diesen Wünschen andere Beweggründe als die „vollen Kassen”. Dem Darsteller ist es sehr wichtig, dass er sich auf der Bühne möglichst spektakulär und imposant präsentieren kann. Er vertritt einen ziemlich egozentrischen Standpunkt, da er einzig und allein auf Ruhm und Applaus auszusein scheint. Meiner Meinung nach wäre allen dreien, wenn sie ihren Standpunkt einzeln durchsetzen würden, der Ruin gesichert. Zusammen allerdings machen sie erst Theater aus. Denn ein Theaterstück sollte ein gutes und intelligentes Drehbuch haben und dennoch unterhaltend für das Publikum umgesetzt werden. Es versteht sich von selbst, dass es auch immer jemanden geben muss, der sich um die Finanzen kümmert, um dem Theater, ihren Poeten und Schauspielern die Existenz zu sichern.

Gerade das Geld, welches dem Theater erst seine Existenz sichert, setzt ihm aber dennoch Grenzen. Durch die schwierige finanzielle Lage der Theater, die ich bereits einleitend beschrieben habe, haben die Theater oftmals kaum eine Chance so aufwendige und massenhafte Werbung für sich und ihre Stücke zu betreiben wie man es beispielsweise aus der Kinobranche kennt. Dadurch erreicht das Theater keine breite Masse und erzielt oft nur ein verhältnismäßig kleines Publikum, dessen Eintrittsgelder zu gering sind um die Kosten zu decken. Auch in Bezug auf die Kosten pro Vorstellung ist das Theater gegenüber dem Kino benachteiligt, denn es müssen jedes Mal wieder von neuem Schauspielergagen erstattet werden, Bühnen auf- und abgebaut werden und Licht- und Tontechniker eingesetzt werden. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei einem Kinofilm um eine Aufnahme, die beliebig oft wieder abgespielt und vervielfacht werden kann. Eine weitere Grenze ist eben diese Vervielfältigung des Stückes. Diese Grenze wird auch hier dadurch gezogen, dass es sich nicht um eine Aufnahme handelt, sondern jedes Mal wieder „live” aufgeführt wird. Umso weniger sich das Theater jedoch der breiten Masse präsentieren kann, umso unwahrscheinlicher wird es auch, dass sich ein so berüchtigtes „Prominententum” bildet wie es im Kino- und Filmbereich geschehen ist. Diese Stars würden die Theaterkultur fördern und sicherlich auch mehr Geld einbringen, da nicht nur mehr Besucher kämen, sondern sich auch neue Förderverbände bilden würden; von Fans, die ihre Stars unterstützen wollen. Sicherlich gibt es in der deutschen Theaterlandschaft wunderbare und ruhmreiche Schauspieler. Doch Stars entstehen durch ihre Fans und die Fans von Theaterschauspielern sind eine „aussterbende Spezies”. Im Zeitalter von Science-Fiction-Filmen und computeranimierten Zeichentrickfilmen kann das Theater nicht mehr mithalten. Es wurde von der modernen Technik einfach überrollt.

Um dies zu verhindern haben sich so viele Kulturverbände und Sponsoren gebildet, wie es seit den 90er Jahren der Fall ist. Diese Menschen und Organisationen versuchen das zu retten was am Theater so einzigartig ist. Im Theater haben die Schauspieler und das Publikum die Möglichkeit miteinander zu kommunizieren. Die Darsteller bekommen sofort eine Reaktion vom Publikum und können darauf eingehen. Der Besucher wird also mit in die Inszenierung und das Stück eingebunden und fühlt sich so den Schauspielern wesentlich näher und verbundener als es im Kinosaal der Fall ist. Eine weitere Möglichkeit des Theaters ist, dass sich das Stück weiterentwickeln kann, da keine Aufführung der anderen gleicht und es sich nicht wie bei einem Film um ein statisches, formstarres Werk handelt.

Ich möchte an dieser Stelle auf eine persönliche Theatererfahrung eingehen. Es handelt sich um das Theaterstück zu dem dänischen Film „Das Fest”. Die Aufführung fand mitten in Berlin in einem ehemaligen Schwimmbad statt. Das Publikum saß in dem leeren Schwimmbecken am Rand und konnte von dort die Vorstellung in der Mitte des Beckens sehen. Auf dieser skurrilen Bühne fand das namengebende Familienfest statt.

So eine außergewöhnliche Idee des Veranstaltungsortes und die kreative Umsetzung des Stückes in einem Schwimmbecken ohne wesentliche Bühnenbilder oder Requisiten kann nur das Theater schaffen. Da ich mit einem der Darsteller befreundet bin, weiß ich, dass alle Schauspieler so gut wie keine Gage bekommen haben und teilweise ihre Requisiten aus eigener Tasche bezahlen mussten. Jeder Schauspieler war dort auch für die Organisation, die Bühnenbilder, die Lichttechnik und die Werbung zuständig.

Daran wird deutlich wie wichtig staatliche Subventionen sind, damit auch kleine, relativ unbekannte Theaterprojekte die Chance haben sich zu verwirklichen. Natürlich sind staatliche Förderungen mit Vorsicht zu genießen, da es gerade in Deutschland zwei extreme Negativ-Beispiele für die Verstaatlichung von Kultur gibt. Die Rede ist vom Nationalsozialismus und von der DDR. In diesen Zeiten wurde die Kultur ausschließlich vom Staat getragen. Die Folgen waren Zensuren und Auftrittsverbote. Der Staat darf in keinem Fall wieder solch eine Machtposition gewinnen, dass er der Kultur Grenzen setzen kann und sie als politisches Instrument benutzt. Dennoch sollte er die Kultur fördern und ihr die Chance geben sich weiterzuentwickeln. Kunst braucht als zentraler Teil der Kultur keine Rechtfertigung und keine Zweckmäßigkeit um vom Staat gestützt zu werden. Es handelt sich um öffentliches Gut, welches für jeden zugänglich sein sollte. Fraglich ist nur die Verteilung der Subventionen, denn ist es wirklich notwendig drei Opernhäuser in Berlin zu unterhalten? Oder sollten die Subventionen nicht lieber unter einer größeren Bandbreite aufgeteilt werden. Ich halte es für das wichtigste, dass gerade diese kleinen, individualistischen Theaterprojekte gefördert werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Theater zwar nicht den modernsten Ansprüchen entspricht, aber dennoch ganz eigene Vorzüge aufweist. Dadurch, dass das Theater aber dennoch von der fortgeschrittenen, computergesteuerten Welt überrannt wurde, muss es immer mehr um das finanzielle überleben kämpfen. Das heißt, dass Schauspieler sich nicht mehr nur mit ihrer Kunst des Schauspielens beschäftigen können, sondern genau wie alle anderen Mitwirkenden an einem Theater, sich mit Sponsoren, Spenden und Kalkulationen herumschlagen müssen. Dabei geht es jedoch nicht um Profit. Denn keiner geht ans Theater um reich zu werden. Es geht viel mehr um die Verteidigung und Aufrechterhaltung ihrer Kunst, die ohne finanzielle Unterstützung nicht gesichert ist. Am Theater arbeitende Menschen würde ich eher als Idealisten bezeichnen, dessen Absichten nicht weniger materiell sein könnten.

 

Maria Richter, Mai 2004
12. Klasse, Deutsch Leistungskurs, 14 Punkte



 


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