Interpretation - Ein Kind töten
Die Geschichte findet an einem sonnigen Sonntagmorgen in 3 Dörfern in einer Ebene statt. Alles in den Dörfern läuft wie immer ab, obwohl an diesem Morgen ein glücklicher Mann im dritten Dorf ein Kind töten wird. Aber noch ist alles wie immer. Der Vater sagt dem Kind, dass sie heute eine Ruderfahrt machen wollen und die Mutter stellt einen Kuchen auf den Tisch.

Der Mann der das Kind töten wird, ist an einer Tankstelle und tankt. Er ist noch glücklich und filmt mit seiner Kamera ein kleines blaues Auto, neben dem ein Mädchen steht. Der Tankwart sagt ihm, dass er noch einen schönen Tag haben wird und er sagt dem Tankwart das sie ans Meer fahren wollen. Das Mädchen, das schon im Auto sitzt, hört das und stellt sich vor, wie es mit dem Mann im Boot sitzt. Der Mann sich dann seinen Kühler an und steigt danach ins Auto.
Im gleichen Moment als der Mann im ersten Dorf den Motor anmacht, findet die Mutter im dritten Dorf keinen Zucker. Das Kind sieht den Fluss und einen schwarzen Kahn, der an Land liegt. Der Vater ist fertig mit seiner Rasur und der Essenstisch ist gedeckt, nur der Zucker fehlt. Die Mutter schickt ihr Kind los, um Zucker bei den Nachbarn zuholen. Der Vater ruft dem Kind hinterher, es solle sich beeilen, weil das Boot warte. Während das Kind zu den Nachbarn geht denkt es nur an das Boot und an die Fische, aber niemand sagt dem Kind, das es nur noch acht Minuten zu leben hat!
Der Weg zu den Nachbarn ist nicht weit, während das Kind über die Straße läuft fährt der Mann, der das Kind töten wird, durch das zweite Dorf, wo die meisten Leute erst erwachen oder am Frühstückstisch sitzen. Das Auto fährt sehr schnell über die Straße und alles rast an ihnen vorbei. Sie verlassen den Ort und es macht ihnen Spaß über die Landstraße zu fahren. Er ist ein guter Mann und er will niemanden etwas zu leide tun und doch wird er ein Kind töten. Während der Mann auf das Dorf zurast, schließt das Mädchen seine Augen und träumt vom blauem Meer.
Nur eine Minute vor dem Unglück ist der Mann noch glücklich und seine Frau träumt vom Meer. Und während der letzten Minute im Leben des Kindes sitzen die Eltern noch glücklich am Tisch, warten auf den Zucker und reden über das Kind. Und das Kind kann während der letzten Minute nur den langen Fluss sehen.
Dann ist alles zu spät. Die Frau blutet an der Hand und schreit. Der Mann versucht auf seinen Beinen zu stehen, obwohl er ein Loch des Entsetzens in sich trägt. Das Kind liegt bewusstlos auf seinem Bauch und der Zucker liegt verstreut herum. Dann kommen die Eltern auf die Straße gelaufen und sehen ein Bild des Schreckens. Denn die Zeit kann nicht alle Wunden heilen, sie kann nicht die Wunden des Kindes, noch die Wunden der Mutter, welche vergessen hat Zucker zu kaufen, noch die des Mannes, welcher das Kind getötet hat, heilen.

Wenn man erst einmal ein Kind getötet hat, findet man keine Freude mehr an Unternehmungen. Es herrscht nur noch Stillschweigen und man weiß, dass man Jahre seines Lebens braucht, um dagegen anzukämpfen und um sich einzureden, das man keine Schuld hat. Aber man weiß, dass es eine Lüge ist und man wünscht sich nur diesen einen Moment ungeschehen zu machen.

Die Überschrift der Geschichte nimmt direkt das Ende der Geschichte voraus, obwohl sie eher den Eindruck vermittelt, das jemand extra ein Kind töten möchte, was eines der schlimmsten Verbrechen ist die es gibt, da ein Kind die Unschuld verkörpert. Besonders mit den vielen Adjektiven lässt Dagerman den Text lebendig wirken.
Z.B. in Zeile 10/11:

„[...] und die Frau trällert und legt den frischgeschnittenen Kuchen auf eine blaue Schüssel.“

Durch den gezielten Einsatz von Verben, welche die Situation sehr genau Umschreiben, ruft er Emotionen hervor. Beispiel:

Zeile 4 „rasieren“, Zeile 45 „vorbeirasen“ und Zeile 57 „unbarmherzig“

Durch seine Parallelbeschreibung entstehen lange Sätze, welche Spannung aufbauen, z.B. in Zeile 43/44:
„Es ist nicht weit bis zu Larssons, nur schräg über die Landstraße, und während das Kind über die Straße läuft, fährt das kleine Auto in das zweite Dorf ein.“

Diese Parallelbeschreibung, welche die Geschichte der verschiedenen Personen zeitgleich erzählt, lässt den Text wie eine Art Countdown erscheinen, welcher die Neugier des Lesers und die Spannung erhöht, z.B. in Zeile 57-66:
„Eine Minute bevor ein glücklicher Mann ein Kind tötet, ist er noch glücklich, und eine Minute, bevor eine Frau vor Entsetzten aufschreit, kann sie noch mit geschlossenen Augen vom Meer träumen, und während der letzten Minute im Leben eines Kindes können die Eltern dieses Kindes in der Küche sitzen und auf den Zucker warten und von den weißen Zähnen ihres Kindes sprechen und von einer Bootsfahrt, und das Kind selbst kann eine Pforte schließen und sich anschicken, mit ein paar Stückchen Zucker in einem weißen Papier in seiner rechten Hand eine Landstraße zu überqueren, [...].“

Nachdem der schreckliche Unfall passiert ist, fängt Dagerman an, seinen Schreibstil zu wechseln. Anstatt wie vorher lange Satzgefüge zu nutzen, nutzt er nun kurze abgehackte Sätze, welche die Hektik und den Schrecken der Situation zum Ausdruck bringen sollen.
Es soll auch deutlich werden, wie Vergänglich und Unberechenbar das Leben ist.
Z.B. in Zeile 67:
„Nachher ist alles zu spät.“

Stig Dagermans „Ein Kind töten“ wurde sogar im Jahre 1952 von dem Regisseur Gösta Werner verfilmt und lief in den Kinos von Stockholm. Dagerman, der ein Filmnarr war, ging zuweilen täglich ins Kino. Er liebt Thriller und Filme von Hitchcok. Doch er war auch in dem Film „ein Kind töten“ und am Ende des Films war er so geschockt, dass er sein Auto, mit dem er gekommen war, stehen ließ und zu Fuß nach Hause ging.




Stig Dagerman wurde am 05.Oktober 1923 geboren und brachte sich 1954 selbst um, indem er sich in seiner Garage bei laufendem Motor vergaste. Er lebte die meiste Zeit seines Lebens in Stockholm. Außer Kurzgeschichten schrieb er zudem auch noch Romane, welche stark durch seinen Fatalismus und durch seine Depression geprägt wurden und er hat zudem auch eine Reportage über Deutschland gemacht. Zu seinen bekanntesten Werken gehört „Die Schlange“, „Ein gebranntes Kind“ und „Insel der Verdammten“.




 


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